Eine Geschichte aus Hamburg“, das hat der Verlag dem Buch als Untertitel verpasst, aber die Geschichte von Günter Märtens spielt immer wieder auch drumherum: Die unter Pendlern berüchtigte B73 schleppt er sich gleich zu Anfang entlang, im Morgengrauen, es muss wohl das Jahr 1981 sein. Kurz zuvor hat der Ich-Erzähler versucht, sich in einer Apotheke auf dem platten Land Stoff zu beschaffen, Valoron wenigstens, oder, wenn es gut läuft, Polamidon; nicht zum ersten Mal und statt eines Rezepts mit der Brechstange: „Drei Junkies unterwegs auf Beutefahrt.“

Als Locke und Jojo – seine Gefährten nicht nur bei diesem Ausflug – aber ernsthaft darüber nachdenken, eine gefundene Jagdflinte dazu zu benutzen, den nächsten Apotheker zur Mitarbeit zu bewegen, da wird es ihm zu bunt, Entzugserscheinungen hin oder her: Er nimmt erst mal Reißaus – bis ihn die anderen an der erwähnten Bundesstraße irgendwo im Hamburger Süden wieder aufsammeln.
Und nein, es ist nicht die große Erweckungsszene dieses überraschend heiteren Meine-Jahre-auf-Heroin-Buches: Zwar sei ihm „auf meinem langen Fußweg durch die Niederungen der norddeutschen Marschlandschaft die Erleuchtung gekommen, dass es so nicht weitergehen konnte“, schreibt Märtens, „noch aber lagen fünf weitere Jahre Himmel und Hölle vor mir.“
Seit 1986 ist Märtens aber tatsächlich clean, da war er noch keine 30, und als er nun im St.-Pauli-Theater dieses erste Kapitel aus „Die Graupensuppe“ (Punktum 2017, 293 S., 20 Euro) vorliest, wirkt er derart aufgeräumt und auf eine Weise heiter, dass man fast schon denken könnte: Ach, so schlimm kann es gar nicht sein, dieses Heroin. Bloß müsste man dann weghören, als Märtens diejenigen erwähnt, die an diesem Abend nicht dabei sind, nicht mehr dabei sein können.
Andere sind gekommen. Es ist eine Mischung aus Klassen- und Familientreffen, wenn Märtens von der Bühne aus allerlei ihm Nahestehende im Publikum begrüßt, auch mit den drei Musikern seiner Band „Plingplang“ geht er um wie mit Menschen, die er nicht erst seit gestern kennt. Tatsächlich nicht seit gestern erst kennt Märtens den Schauspieler Ulrich Tukur: Als Bassist in dessen Band Rhythmus Boys hat Märtens in den vergangenen 20 Jahren so was wie Karriere gemacht, auch als Schauspieler ist er immer wieder in Erscheinung getreten. Das allererste Mal auf exakt der Bühne, auf der er nun im Sessel sitzt und vorliest. Vielleicht wegen der Tukur-Connection läuft man an diesem Abend immer wieder dem über den Weg, was man den Adel des NDR-Sendegebiets nennen könnte, Julia Westlake etwa, oder Mathieu Carrière.

Ein Heimspiel also für diesen markant gealterten Schlaks, der von sich sagt, es sei nicht zuletzt die Musik gewesen, die ihn gerettet habe. Wenn er also nicht liest – oder das durch seine Kumpels Peter Lohmeyer und Christian Redl besorgen lässt, dann singt er: eigene Stücke und auch eine Art Coverversion. Nein, nicht „Heroin“, auch wenn die Band beinahe wie Velvet Underground klingt bei ihrer Vertonung von Wolfgang Neuss’tollem Gedicht “Rock ’n’Roll“. ALDI